Chronik der Sternenkrieger 4 - Heiliges Imperium

Science Fiction Abenteuer

Science Fiction & Fantasy, High Tech, Space Opera
Cover of the book Chronik der Sternenkrieger 4 - Heiliges Imperium by Alfred Bekker, CassiopeiaPress
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Author: Alfred Bekker ISBN: 1230000036907
Publisher: CassiopeiaPress Publication: December 5, 2012
Imprint: Language: German
Author: Alfred Bekker
ISBN: 1230000036907
Publisher: CassiopeiaPress
Publication: December 5, 2012
Imprint:
Language: German

»Wie ist dein Name?«, fragte die Stimme aus der Dunkelheit.
»Pan-Sen.«
»Du bist Techniker auf dem Kriegsschiff ZORN GOTTES, das derzeit im Orbitaldock von Garinjan gewartet wird.«  
Die Krallenhand schloss sich fester um den Handtraser, den Pan-Sen unter seinem Umgang verborgen hatte. Es handelte sich um die gewöhnliche Standardwaffe zur Selbstverteidigung, wie sie unter den Raumsoldaten des Heiligen Imperiums üblich war – nicht um die weitaus wirkungsvollere Ausführung, die von Spezialkräften für Kampfeinsätze am Boden getragen wurden.
»Du bist gut informiert«, stellte Pan-Sen etwas irritiert fest.
»Dein Urlaub auf Garinjan dauert noch zwei Imperiumstage, was dreieinhalb Planetenumdrehungen hier auf Garinjan entspricht«, fuhr die Stimme fort. »Dein Schiff wurde bei dem letzten Einsatz gegen die Menschen schwer beschädigt und musste Lichtjahre weit bis in die Noirmad-Exklave geschleppt werden, weil anscheinend sämtliche Werften des Imperiums derzeit mit dem Neubau und der Reparatur von Kriegsschiffen vollkommen ausgelastet sind!«
Woher kann er so viel über mich wissen?, durchzuckte es Pan-Sen.
Aus der Dunkelheit löste sich jetzt eine Gestalt, die Pan-Sen um etwa eine Haupteslänge überragte.
Der Unbekannte trug einen Druckanzug, dessen metallisch wirkende Beschichtung das Licht des Jademonds reflektierte.
Ein Naarash!, durchfuhr es Pan-Sen. Mit allem hätte ich gerechnet – nur nicht damit!
»Ich bin überrascht«, stellte Pan-Sen fest.
Die Methan atmenden Naarash wurden innerhalb des Imperiums als Transporteure und Händler geduldet, weil die Raumflotte der Qriid gerade in den Zeiten, in denen der Aarriid zur Fortsetzung des heiligen Krieges aufrief, nicht genug Kapazitäten besaß, um den logistischen Voraussetzungen der Kriegswirtschaft gerecht werden zu können. Allerdings waren die Qriid weit davon entfernt, die Methanatmer als auch nur entfernt gleichwertig anzusehen. In den Augen der Vogelartigen hatten sie einen Status, der kaum über dem von Sklaven stand. Misanjij, lautete die Qriid-Bezeichnung für Angehörige dieses Volkes. Das bedeutete nichts anderes als notwendiges Übel.
»Ich werde dich zum Prediger führen«, versprach der Naarash, dessen Helmvisier nicht transparent war. Seine Worte waren in Sprache und Modulation nicht von denen eines Qriid zu unterscheiden.
Die Klangfärbung war ebenso perfekt imitiert wie die Schabegeräusche, die ein Qriid mit seinem Schnabel zu erzeugen vermochte und die häufig in Gesprächen als zusätzliche nonverbale Botschaften eingesetzt wurden, um Aussagen zu unterstreichen oder zu kommentieren.
Die Naarash besaßen ausgesprochen leistungsfähige Translatorsysteme.
Pan-Sen trat einen Schritt näher, die Krallenhand noch immer am Traser. Er traute dem Braten einfach nicht. 
»Derjenige, der dieses Treffen vermittelt hat, sprach davon, dass mich jemand namens Tam-Karan zum Prediger führen würde.«
»Ich bin Tam-Karan«, erklärte der Naarash.
»Das ist ein Qriid-Name«, ereiferte sich Pan-Sen.
»Hier in der Noirmad-Exklave ist es seit neuestem erlaubt, dass Naarash Namen tragen, die dem Namenskodex des Heiligen Imperiums entsprechen.«
Pan-Sen war zum ersten Mal auf einer Welt der Noirmad-Exklave, einem Gebiet, das etwas abseits des von den Qriid besiedelten Bereichs lag. Hier gab es besonders viele Naarash, was damit zusammenhing, dass sich in diesem Sektor innerhalb der letzten dreißig Imperiumsjahre ein Zentrum der Raumfahrt-und Kriegsindustrie entwickelt hatte. Auf vielen Planeten der Noirmad-Exklave gab es einen besonders hohen Anteil an schweren Elementen und seltenen, für die Qriid-Technik wichtigen Isotopen. Die Rohstoffvorkommen hatten zu den Industrieansiedlungen geführt und die waren der Grund für das hohe Aufkommen an Raumfrachtverkehr, das wiederum die Naarash auf den Plan gerufen hatte.
Vielleicht sind die Verhältnisse hier einfach etwas anders als zu Hause, dachte Pan-Sen.
Zu Hause – das war in seinem Fall Sagunta, der etwa merkurgroße Mond der Qriid-Hauptwelt Qriidia. Sagunta glich einem von Qriidianischen Steinwürmern durchlöcherten Felsen. Der atmosphärelose Mond war eine einzige Flottenbasis. Die Anlagen waren allesamt unter der Oberfläche, wo sich darüber hinaus auch die Wohnungen von mehreren Hundert Millionen Flottenangehörigen und ihrer Familien befanden.
Auf Sagunta hatte es nicht einen einzigen Naarash gegeben.
Aus Sicherheitsgründen durften ihre Schiffe diesen Mond nicht anfliegen.
Alle Waren, die nach Sagunta gebracht wurden, mussten zunächst auf der Hauptwelt Qriidia mit ihrer strahlenden Hauptstadt Qatlanor umgeladen und dann von flotteneigenen Transportern weitergeleitet werden.
Auch wenn es nie einen Grund dafür gegeben hatte, die Naarash pauschal des Verrats zu verdächtigen, so hatte sich das Misstrauen des Oberkommandos der Flotte in diesem Punkt wohl doch durchgesetzt.
»Folge mir jetzt«, forderte der Naarash.

*

Sol-System, Erd-Orbit…
Commander Rena Sunfrost, Captain des Leichten Kreuzers STERNENKRIEGER, betrat Konferenzraum C auf Spacedock 13.
Admiral Norman Fabri und Commodore Tim Bray Jackson – Renas direkte Vorgesetzte – befanden sich im Raum und hatten am Ende des langen Tisches Platz genommen, der in der Mitte stand.
Eine der Wände war teilweise transparent, sodass man einen atemberaubenden Panoramablick auf die Erde und die näheren Orbitalstationen hatte.
Rena nahm Haltung an.
»Rühren«, sagte Commodore Jackson trocken. Sein Kopf war auf Grund einer Verstrahlung, die er während der inzwischen schon legendären Raumschlacht im Tridor-System erlitten hatte, vollkommen haarlos. Elf irdische Standardjahre war es nun schon her, dass die Kriegsraumer des Space Army Corps der Humanen Welten dem Ansturm der vogelähnlichen Qriid getrotzt hatten, bis deren Angriffswelle verebbt war.
Jahre eines unerklärten Waffenstillstands hatten sich daran angeschlossen.
Ein Zustand, der wohl am treffendsten als »kalter Krieg« bezeichnet werden konnte.
Seit einiger Zeit jedoch war dieser Konflikt erneut in alter Heftigkeit aufgeflammt. Mit ihrem jüngsten Vorstoß zum Wega-System waren die Qriid tief ins Herz der Humanen Welten vorgedrungen.
Die militärische Lage war Besorgnis erregend.
»Setzen Sie sich, Commander«, sagte Commodore Jackson und deutete auf die Reihe der freien Schalensitze auf Renas Seite des Konferenztisches.
»Ja, Sir«, antwortete Rena und nahm Platz.
Jackson lehnte sich etwas zurück und wechselte einen kurzen Blick mit Admiral Fabri. Der nickte knapp.
Anschließend wandte sich Jackson wieder Rena zu und meinte: »Sie werden sich gewiss etwas über die Umbaumaßnahmen an Bord der STERNENKRIEGER gewundert haben.«
»Das können Sie laut sagen, Sir«, bestätigte Rena. »Meines Wissens ist die STERNENKRIEGER jetzt das einzige Schiff im Space Army Corps, dass über so eine Konstruktion aus ultraleichten Karbonstangen verfügt, mit denen man eine Art Zelt aus Aluminiumfolie auffächern kann!«
Jackson lächelte und selbst Admiral Fabri konnte nicht umhin, wenigstens verhalten zu schmunzeln.
»Die Mission, die für die STERNENKRIEGER vorgesehen ist, unterliegt strengster  Geheimhaltung«, erklärte Jackson schließlich. »Darum war es bisher nicht möglich, Sie und Ihre Besatzung über den Sinn dieser Maßnahmen zu informieren. Ich werde das aber heute nachholen. Inzwischen haben wir nämlich von politischer Seite grünes Licht. Der Humane Rat ist damit einverstanden, dass Sie tief ins Gebiet der Qriid vorstoßen. Zur Tarnung war es daher notwendig, das Äußere der STERNENKRIEGER so zu verändern, dass es Ihnen möglich ist, einen von Qriid besiedelten Planeten anzufliegen, um dort Kontakt mit sechs Dissidenten aufzunehmen und die Möglichkeiten einer effektiven Zusammenarbeit auszuloten.«
Rena hob erstaunt die Augenbrauen.
»Es gibt Dissidenten im Qriid-Imperium?«, fragte sie verwundert. »Bislang machte ihre politische Struktur doch eher den Eindruck eines monolithischen Blocks – abgesehen vielleicht von vagen Hinweisen auf ein paar Rivalitäten zwischen Militär und Priesterschaft.«
Ein verhaltenes Lächeln erschien auf Tim Bray Jacksons Gesicht. »Das entsprach der Außenansicht«, erklärte er. »Seit wir Dank Ihrer Mission im Tardelli-System die sieben Monde von Heptagon als Relaisstation eines vorgeschobenen Horchpostens verwenden können, haben wir viele Erkenntnisse über die innere Struktur des Qriid-Imperiums hinzugewonnen. So hat sich beispielsweise der Verdacht bestätigt, dass die Wiederaufnahme der Kampfhandlungen durch die Qriid mit der Auswahl eines neuen Aarriid durch die Priesterschaft in Zusammenhang steht. Der Aarriid ist ja dem Glauben der Qriid nach Stellvertreter und Stimme Gottes im Universum. Stirbt er, bedeutet dies auch zunächst ein Ende des Heiligen Krieges bis ein Nachfolger bestimmt ist, was offenbar manchmal viele Jahre dauern kann.« 
»Geschah dies auch vor elf Jahren, als die Qriid sich nach der Schlacht um Tridor plötzlich zurückzogen, obwohl es dafür militärisch gesehen eigentlich keinen zwingenden Grund gab?«, hakte Rena nach. Eine Frage, die sie schon seit langem beschäftigt hatte.
»Die bisher gewonnenen Informationen deuten genau in diese Richtung«, nickte Jackson.
Dann hatte ich mit meiner Vermutung also Recht, ging es Rena durch den Kopf. Der damalige Sieg über die Qriid hatte nichts mit der Stärke des Space Army Corps zu tun, sondern damit, dass für die Vogelartigen zwischenzeitlich die theologische Legitimation des Krieges in Frage gestellt war.
»Dann waren die diplomatischen Bemühungen von Botschafter Aljanov im Bannister-System also von vorn herein zum Scheitern verurteilt«, stellte Sunfrost fest.
Jackson nickte. »Ja, zumindest in dem Augenblick, als die Priesterschaft einen neuen Aarriid bestimmt hatte, denn das herrschende Dogma des Qriid-Glaubens besteht darin, dass in diesem Fall die Fortsetzung des Heiligen Krieges zwingend vorgeschrieben ist. Sie sehen sich als das auserwählte Volk, das von Gott die Mission erhielt, sein Heiliges Imperium bis in die Unendlichkeit hinein auszudehnen. Allerdings haben wir durch Entschlüsselung der Funkdaten auch erfahren, dass es offenbar vor allem in längeren Phasen des Interregnums – und damit des Friedens! – immer wieder Abweichler gab, die als Ketzer bezeichnet wurden. Qriid, die sich offenbar an die Annehmlichkeiten des Friedens gewöhnt hatten und weit weniger bereit waren, ihr Leben und ihre Kraft dem Dienst am Imperium zu opfern, als es Priesterschaft und Militär für richtig hielten.«
»Hatten diese Ketzerbewegungen denn jemals auch nur den Hauch einer Chance, sich gegenüber der Zentralgewalt durchsetzen zu können?«, fragte Sunfrost ziemlich skeptisch.
Jackson hob die Schultern. Mit einer schnellen Handbewegung strich er sich über den völlig haarlosen Kopf, auf dem sich das Licht spiegelte.
»Noch existiert im gesamten Einflussbereich der Humanen Welten nicht ein einziger Experte für Qriid-Geschichte, der diese Bezeichnung auch verdienen würde, aber die Geheimdienstspezialisten im Heptagon-System sammeln ständig weitere Daten, die sich irgendwann sicherlich zu einem historischen Abriss verdichten lassen. Wir wissen jedenfalls, dass es vor fünfhundert Standardjahren einen Planeten namens Gesarimoa gegeben hat, auf dem offensichtlich eine starke Ketzerbewegung den Großteil der Bevölkerung erfasst und in ihrem Sinne beeinflusst hatte.«
»Was geschah?«
»Der Planet wurde vollkommen verwüstet und ist heute nichts anderes als ein atmosphäreloser, verstrahlter Gesteinsbrocken am Rande des Qriid-Gebietes. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass diese Geschichte den Tatsachen entspricht, allerdings hat die gegenwärtige Führung des Imperiums offenbar ein großes Interesse daran, die Erinnerung an die Ereignisse von Gesarimoa lebendig zu halten, um künftige Ketzerbewegungen abzuschrecken. Dies scheint jedoch nicht ganz geglückt zu sein.«
Admiral Fabri aktivierte inzwischen einen Bildschirm, auf dem eine Sternenkarte in Pseudo-Drei-D-Qualität entstand.
»Sie sehen hier das Gebiet der Qriid, Commander«, erläuterte Admiral Fabri. Ein bestimmtes Areal war farbig markiert. Es lag etwas außerhalb des relativ geschlossenen Bereichs, den die Qriid zu ihrem heiligen Imperium zählten.
»Dies hier ist die Noirmad-Exklave – ein Gebiet, das noch nicht allzu lange zum Imperium gehört, aber dennoch eine Reihe von enorm wichtigen Industriewelten beherbergt. Wir haben Grund zur Annahme, dass sich dort in den letzten Monaten eine Ketzerbewegung unter Führung eines geheimnisvollen Anführers etabliert hat, der sich bislang einfach nur der Prediger nennen lässt. Der Qriid-Geheimdienst scheint diese Bewegung sehr ernst zu nehmen, hatte aber bislang noch keinen Erfolg damit, ihren Anführer auszuschalten.«
Commodore Jackson schob Sunfrost einen Datenträger über den Tisch und ergänzte: »Hier finden Sie alle nötigen Angaben. Die Datensammlung bezüglich des Predigers und seiner Bewegung sind auf dem letzten Stand unserer Erkenntnisse. Aber bedenken Sie bitte, dass die noch immer sehr spärlich und möglicherweise auch fehlerhaft sind. Schließlich stammt das Meiste, was wir an Informationen über die Ketzer-Bewegung besitzen, von ihren erbitterten Gegnern und ist dementsprechend tendenziös.«
»Ist etwas Genaueres über die Ziele dieser Bewegung bekannt?«
»Sie argumentieren natürlich theologisch, wie man das innerhalb des Qriid-Imperiums auch erwarten kann. Vor allem behaupten Sie, dass die herrschende Priester-Kaste die Überlieferung falsch auslegt und Teile davon bewusst unterdrückt. Für uns ist wichtig, dass sich die Zahl ihrer Anhänger in der Noirmad-Exklave geradezu explosionsartig vergrößert haben muss. Der Prediger scheint den Nerv vieler Qriid zu treffen, die einfach kriegsmüde sind… Elf Jahre Kampfpause haben sie offenbar auf den Geschmack gebracht.«
Rena Sunfrost deutete auf die Sternenkarte. »Wir werden im Sandströmraum den Zentralbereich des Imperiums durchfliegen müssen, um in die Noirmad-Exklave zu gelangen«, gab sie zu bedenken.
Commodore Jackson bestätigte dies. »Das ist vollkommen korrekt, Commander – aber ein Risiko besteht da nur, wenn Sie die Sandström-Passage wider erwartend unterbrechen müssten.«
Er atmete tief durch und fuhr anschließend in gedämpftem Tonfall fort: »Sie wissen ja, was im Wega-System geschehen ist. Es steht nicht gut und die Analysen des Geheimdienstes gehen davon aus, dass wir die Qriid auf lange Sicht gesehen nicht aufhalten können.«
»Man könnte verzweifeln«, mischte sich Fabri ein.
»Während im Humanen Rat gerade eine Vorlage zur Mobilmachung gescheitert ist, sind die Qriid längst dabei, auch die letzten industriellen Reserven für den Krieg zu mobilisieren.«
Rena nahm den Datenträger an sich.
»Ich wünsche Ihnen viel Glück, Commander«, hörte sie Commodore Jackson sagen.
Es klang für Rena wie aus weiter Ferne.
Ein Vorstoß in die Höhle des Löwen lag vor ihr und in ihren Gedanken war sie bereits auf die nächsten notwendigen Schritte konzentriert.

*

Garinjan, Noirmad-Exklave, Heiliges Imperium der Qriid…
Der Naarash führte Pan-Sen durch die engen, verwinkelten Gassen von Sarashtor, einer sich unkontrolliert ausbreitenden Siedlung, die sich um den gleichnamigen Industriekomplex herum gebildet hatte. Der Industriekomplex war auf dem neuesten Stand der Qriid-Technik und produzierte vor allem Traserkanonen jeder nur erdenklichen Größe. Die meisten davon wurden irgendwann in Kriegsschiffe eingebaut, die sich dann in die Weiten des Alls aufmachten, um die Ungläubigen zu vertreiben und das Gebiet des Heiligen Imperiums zu vergrößern. Denn das war der Daseinszweck jenes Volkes, das sich selbst als von Gott auserwählt ansah.
Für etwa ein Dutzend Imperiumsjahre (die der Umlaufzeit des Planeten Qriidia um sein Zentralgestirn entsprachen) hatte Waffenstillstand geherrscht, nachdem der Aarriid gestorben war.
Zwölf lange Imperiumsjahre hindurch hatte Waffenstillstand geherrscht, in der die Priesterschaft nach einem jungen Qriid Ausschau gehalten hatte, der über die spirituellen Eigenschaften von Gottes künftigem Stellvertreter verfügte.
Die genauen Kriterien, nach denen die Priester den neuen Herrscher auswählten, gehörten dabei zu ihrem Geheimwissen.
Aber seit kurzem war die Zeit des Interregnums zu Ende.
Die Flotten der Qriid zogen wieder in die Tiefen des Alls, um Gottes auserwähltem Volk den nötigen Raum zu verschaffen und den einzig wahren Glauben im Universum zu verbreiten. Die Unbelehrbaren mussten vertrieben oder unterworfen werden, denn das war der Heilige Auftrag, dem das Imperium seine Existenzgrundlage verdankte.
Pan-Sen folgte dem Naarash in einen Hinterhof, der – wie die gesamte Stadt – nur sehr spärlich beleuchtet war.
Tam-Karan führte den Raumsoldaten der Qriid-Flotte zu einer Tür.
Kurz blinkte an dem Druckanzug des Naarash ein Kontrolllämpchen auf. Wahrscheinlich sendet er mit Hilfe des Helmfunks ein Identifikationssignal, schloss Pan-Sen.
Im nächsten Moment glitt die Tür zur Seite. Tam-Karan trat ein. Der Qriid folgte ihm.
Innen herrschte ein diffuses Halbdunkel.
Nur ein vergleichsweise schwaches Leuchtaggregat spendete gerade genug Licht, um sich orientieren zu können.
Eine weitere, ebenfalls mit einem Zugangscode gesicherte Tür führte zu einem langen, schmalen Korridor. Nach dem Pan-Sen und Tam-Karan ihn bis zum Ende passiert hatten, erreichten sie einen Lastenaufzug.
Pan-Sen zögerte, ehe er dem Naarash in den Aufzug folgte.
»Wo geht es hin?«, erkundigte er sich.
Tam-Karan gab bereitwillig Auskunft. »Die Anhänger des Predigers sind darauf angewiesen, sich an verborgenen Orten zu treffen. Du wirst davon gehört haben, wie erbarmungslos uns die Geheimpolizei des Imperiums verfolgt.«

»Ja, allerdings.«
Uns!, echote es in Pan-Sens Bewusstsein wider. Er hat ›uns‹ gesagt – was bedeutet, dass er sich selbst als einen Anhänger des Predigers empfindet. Welche Ketzerei! Der Angehörige eines Dienervolkes auf einer Stufe mit den Auserwählten, denen Gott das Universum versprach! Ist nicht allein das schon Blasphemie der übelsten Sorte?

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»Wie ist dein Name?«, fragte die Stimme aus der Dunkelheit.
»Pan-Sen.«
»Du bist Techniker auf dem Kriegsschiff ZORN GOTTES, das derzeit im Orbitaldock von Garinjan gewartet wird.«  
Die Krallenhand schloss sich fester um den Handtraser, den Pan-Sen unter seinem Umgang verborgen hatte. Es handelte sich um die gewöhnliche Standardwaffe zur Selbstverteidigung, wie sie unter den Raumsoldaten des Heiligen Imperiums üblich war – nicht um die weitaus wirkungsvollere Ausführung, die von Spezialkräften für Kampfeinsätze am Boden getragen wurden.
»Du bist gut informiert«, stellte Pan-Sen etwas irritiert fest.
»Dein Urlaub auf Garinjan dauert noch zwei Imperiumstage, was dreieinhalb Planetenumdrehungen hier auf Garinjan entspricht«, fuhr die Stimme fort. »Dein Schiff wurde bei dem letzten Einsatz gegen die Menschen schwer beschädigt und musste Lichtjahre weit bis in die Noirmad-Exklave geschleppt werden, weil anscheinend sämtliche Werften des Imperiums derzeit mit dem Neubau und der Reparatur von Kriegsschiffen vollkommen ausgelastet sind!«
Woher kann er so viel über mich wissen?, durchzuckte es Pan-Sen.
Aus der Dunkelheit löste sich jetzt eine Gestalt, die Pan-Sen um etwa eine Haupteslänge überragte.
Der Unbekannte trug einen Druckanzug, dessen metallisch wirkende Beschichtung das Licht des Jademonds reflektierte.
Ein Naarash!, durchfuhr es Pan-Sen. Mit allem hätte ich gerechnet – nur nicht damit!
»Ich bin überrascht«, stellte Pan-Sen fest.
Die Methan atmenden Naarash wurden innerhalb des Imperiums als Transporteure und Händler geduldet, weil die Raumflotte der Qriid gerade in den Zeiten, in denen der Aarriid zur Fortsetzung des heiligen Krieges aufrief, nicht genug Kapazitäten besaß, um den logistischen Voraussetzungen der Kriegswirtschaft gerecht werden zu können. Allerdings waren die Qriid weit davon entfernt, die Methanatmer als auch nur entfernt gleichwertig anzusehen. In den Augen der Vogelartigen hatten sie einen Status, der kaum über dem von Sklaven stand. Misanjij, lautete die Qriid-Bezeichnung für Angehörige dieses Volkes. Das bedeutete nichts anderes als notwendiges Übel.
»Ich werde dich zum Prediger führen«, versprach der Naarash, dessen Helmvisier nicht transparent war. Seine Worte waren in Sprache und Modulation nicht von denen eines Qriid zu unterscheiden.
Die Klangfärbung war ebenso perfekt imitiert wie die Schabegeräusche, die ein Qriid mit seinem Schnabel zu erzeugen vermochte und die häufig in Gesprächen als zusätzliche nonverbale Botschaften eingesetzt wurden, um Aussagen zu unterstreichen oder zu kommentieren.
Die Naarash besaßen ausgesprochen leistungsfähige Translatorsysteme.
Pan-Sen trat einen Schritt näher, die Krallenhand noch immer am Traser. Er traute dem Braten einfach nicht. 
»Derjenige, der dieses Treffen vermittelt hat, sprach davon, dass mich jemand namens Tam-Karan zum Prediger führen würde.«
»Ich bin Tam-Karan«, erklärte der Naarash.
»Das ist ein Qriid-Name«, ereiferte sich Pan-Sen.
»Hier in der Noirmad-Exklave ist es seit neuestem erlaubt, dass Naarash Namen tragen, die dem Namenskodex des Heiligen Imperiums entsprechen.«
Pan-Sen war zum ersten Mal auf einer Welt der Noirmad-Exklave, einem Gebiet, das etwas abseits des von den Qriid besiedelten Bereichs lag. Hier gab es besonders viele Naarash, was damit zusammenhing, dass sich in diesem Sektor innerhalb der letzten dreißig Imperiumsjahre ein Zentrum der Raumfahrt-und Kriegsindustrie entwickelt hatte. Auf vielen Planeten der Noirmad-Exklave gab es einen besonders hohen Anteil an schweren Elementen und seltenen, für die Qriid-Technik wichtigen Isotopen. Die Rohstoffvorkommen hatten zu den Industrieansiedlungen geführt und die waren der Grund für das hohe Aufkommen an Raumfrachtverkehr, das wiederum die Naarash auf den Plan gerufen hatte.
Vielleicht sind die Verhältnisse hier einfach etwas anders als zu Hause, dachte Pan-Sen.
Zu Hause – das war in seinem Fall Sagunta, der etwa merkurgroße Mond der Qriid-Hauptwelt Qriidia. Sagunta glich einem von Qriidianischen Steinwürmern durchlöcherten Felsen. Der atmosphärelose Mond war eine einzige Flottenbasis. Die Anlagen waren allesamt unter der Oberfläche, wo sich darüber hinaus auch die Wohnungen von mehreren Hundert Millionen Flottenangehörigen und ihrer Familien befanden.
Auf Sagunta hatte es nicht einen einzigen Naarash gegeben.
Aus Sicherheitsgründen durften ihre Schiffe diesen Mond nicht anfliegen.
Alle Waren, die nach Sagunta gebracht wurden, mussten zunächst auf der Hauptwelt Qriidia mit ihrer strahlenden Hauptstadt Qatlanor umgeladen und dann von flotteneigenen Transportern weitergeleitet werden.
Auch wenn es nie einen Grund dafür gegeben hatte, die Naarash pauschal des Verrats zu verdächtigen, so hatte sich das Misstrauen des Oberkommandos der Flotte in diesem Punkt wohl doch durchgesetzt.
»Folge mir jetzt«, forderte der Naarash.

*

Sol-System, Erd-Orbit…
Commander Rena Sunfrost, Captain des Leichten Kreuzers STERNENKRIEGER, betrat Konferenzraum C auf Spacedock 13.
Admiral Norman Fabri und Commodore Tim Bray Jackson – Renas direkte Vorgesetzte – befanden sich im Raum und hatten am Ende des langen Tisches Platz genommen, der in der Mitte stand.
Eine der Wände war teilweise transparent, sodass man einen atemberaubenden Panoramablick auf die Erde und die näheren Orbitalstationen hatte.
Rena nahm Haltung an.
»Rühren«, sagte Commodore Jackson trocken. Sein Kopf war auf Grund einer Verstrahlung, die er während der inzwischen schon legendären Raumschlacht im Tridor-System erlitten hatte, vollkommen haarlos. Elf irdische Standardjahre war es nun schon her, dass die Kriegsraumer des Space Army Corps der Humanen Welten dem Ansturm der vogelähnlichen Qriid getrotzt hatten, bis deren Angriffswelle verebbt war.
Jahre eines unerklärten Waffenstillstands hatten sich daran angeschlossen.
Ein Zustand, der wohl am treffendsten als »kalter Krieg« bezeichnet werden konnte.
Seit einiger Zeit jedoch war dieser Konflikt erneut in alter Heftigkeit aufgeflammt. Mit ihrem jüngsten Vorstoß zum Wega-System waren die Qriid tief ins Herz der Humanen Welten vorgedrungen.
Die militärische Lage war Besorgnis erregend.
»Setzen Sie sich, Commander«, sagte Commodore Jackson und deutete auf die Reihe der freien Schalensitze auf Renas Seite des Konferenztisches.
»Ja, Sir«, antwortete Rena und nahm Platz.
Jackson lehnte sich etwas zurück und wechselte einen kurzen Blick mit Admiral Fabri. Der nickte knapp.
Anschließend wandte sich Jackson wieder Rena zu und meinte: »Sie werden sich gewiss etwas über die Umbaumaßnahmen an Bord der STERNENKRIEGER gewundert haben.«
»Das können Sie laut sagen, Sir«, bestätigte Rena. »Meines Wissens ist die STERNENKRIEGER jetzt das einzige Schiff im Space Army Corps, dass über so eine Konstruktion aus ultraleichten Karbonstangen verfügt, mit denen man eine Art Zelt aus Aluminiumfolie auffächern kann!«
Jackson lächelte und selbst Admiral Fabri konnte nicht umhin, wenigstens verhalten zu schmunzeln.
»Die Mission, die für die STERNENKRIEGER vorgesehen ist, unterliegt strengster  Geheimhaltung«, erklärte Jackson schließlich. »Darum war es bisher nicht möglich, Sie und Ihre Besatzung über den Sinn dieser Maßnahmen zu informieren. Ich werde das aber heute nachholen. Inzwischen haben wir nämlich von politischer Seite grünes Licht. Der Humane Rat ist damit einverstanden, dass Sie tief ins Gebiet der Qriid vorstoßen. Zur Tarnung war es daher notwendig, das Äußere der STERNENKRIEGER so zu verändern, dass es Ihnen möglich ist, einen von Qriid besiedelten Planeten anzufliegen, um dort Kontakt mit sechs Dissidenten aufzunehmen und die Möglichkeiten einer effektiven Zusammenarbeit auszuloten.«
Rena hob erstaunt die Augenbrauen.
»Es gibt Dissidenten im Qriid-Imperium?«, fragte sie verwundert. »Bislang machte ihre politische Struktur doch eher den Eindruck eines monolithischen Blocks – abgesehen vielleicht von vagen Hinweisen auf ein paar Rivalitäten zwischen Militär und Priesterschaft.«
Ein verhaltenes Lächeln erschien auf Tim Bray Jacksons Gesicht. »Das entsprach der Außenansicht«, erklärte er. »Seit wir Dank Ihrer Mission im Tardelli-System die sieben Monde von Heptagon als Relaisstation eines vorgeschobenen Horchpostens verwenden können, haben wir viele Erkenntnisse über die innere Struktur des Qriid-Imperiums hinzugewonnen. So hat sich beispielsweise der Verdacht bestätigt, dass die Wiederaufnahme der Kampfhandlungen durch die Qriid mit der Auswahl eines neuen Aarriid durch die Priesterschaft in Zusammenhang steht. Der Aarriid ist ja dem Glauben der Qriid nach Stellvertreter und Stimme Gottes im Universum. Stirbt er, bedeutet dies auch zunächst ein Ende des Heiligen Krieges bis ein Nachfolger bestimmt ist, was offenbar manchmal viele Jahre dauern kann.« 
»Geschah dies auch vor elf Jahren, als die Qriid sich nach der Schlacht um Tridor plötzlich zurückzogen, obwohl es dafür militärisch gesehen eigentlich keinen zwingenden Grund gab?«, hakte Rena nach. Eine Frage, die sie schon seit langem beschäftigt hatte.
»Die bisher gewonnenen Informationen deuten genau in diese Richtung«, nickte Jackson.
Dann hatte ich mit meiner Vermutung also Recht, ging es Rena durch den Kopf. Der damalige Sieg über die Qriid hatte nichts mit der Stärke des Space Army Corps zu tun, sondern damit, dass für die Vogelartigen zwischenzeitlich die theologische Legitimation des Krieges in Frage gestellt war.
»Dann waren die diplomatischen Bemühungen von Botschafter Aljanov im Bannister-System also von vorn herein zum Scheitern verurteilt«, stellte Sunfrost fest.
Jackson nickte. »Ja, zumindest in dem Augenblick, als die Priesterschaft einen neuen Aarriid bestimmt hatte, denn das herrschende Dogma des Qriid-Glaubens besteht darin, dass in diesem Fall die Fortsetzung des Heiligen Krieges zwingend vorgeschrieben ist. Sie sehen sich als das auserwählte Volk, das von Gott die Mission erhielt, sein Heiliges Imperium bis in die Unendlichkeit hinein auszudehnen. Allerdings haben wir durch Entschlüsselung der Funkdaten auch erfahren, dass es offenbar vor allem in längeren Phasen des Interregnums – und damit des Friedens! – immer wieder Abweichler gab, die als Ketzer bezeichnet wurden. Qriid, die sich offenbar an die Annehmlichkeiten des Friedens gewöhnt hatten und weit weniger bereit waren, ihr Leben und ihre Kraft dem Dienst am Imperium zu opfern, als es Priesterschaft und Militär für richtig hielten.«
»Hatten diese Ketzerbewegungen denn jemals auch nur den Hauch einer Chance, sich gegenüber der Zentralgewalt durchsetzen zu können?«, fragte Sunfrost ziemlich skeptisch.
Jackson hob die Schultern. Mit einer schnellen Handbewegung strich er sich über den völlig haarlosen Kopf, auf dem sich das Licht spiegelte.
»Noch existiert im gesamten Einflussbereich der Humanen Welten nicht ein einziger Experte für Qriid-Geschichte, der diese Bezeichnung auch verdienen würde, aber die Geheimdienstspezialisten im Heptagon-System sammeln ständig weitere Daten, die sich irgendwann sicherlich zu einem historischen Abriss verdichten lassen. Wir wissen jedenfalls, dass es vor fünfhundert Standardjahren einen Planeten namens Gesarimoa gegeben hat, auf dem offensichtlich eine starke Ketzerbewegung den Großteil der Bevölkerung erfasst und in ihrem Sinne beeinflusst hatte.«
»Was geschah?«
»Der Planet wurde vollkommen verwüstet und ist heute nichts anderes als ein atmosphäreloser, verstrahlter Gesteinsbrocken am Rande des Qriid-Gebietes. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass diese Geschichte den Tatsachen entspricht, allerdings hat die gegenwärtige Führung des Imperiums offenbar ein großes Interesse daran, die Erinnerung an die Ereignisse von Gesarimoa lebendig zu halten, um künftige Ketzerbewegungen abzuschrecken. Dies scheint jedoch nicht ganz geglückt zu sein.«
Admiral Fabri aktivierte inzwischen einen Bildschirm, auf dem eine Sternenkarte in Pseudo-Drei-D-Qualität entstand.
»Sie sehen hier das Gebiet der Qriid, Commander«, erläuterte Admiral Fabri. Ein bestimmtes Areal war farbig markiert. Es lag etwas außerhalb des relativ geschlossenen Bereichs, den die Qriid zu ihrem heiligen Imperium zählten.
»Dies hier ist die Noirmad-Exklave – ein Gebiet, das noch nicht allzu lange zum Imperium gehört, aber dennoch eine Reihe von enorm wichtigen Industriewelten beherbergt. Wir haben Grund zur Annahme, dass sich dort in den letzten Monaten eine Ketzerbewegung unter Führung eines geheimnisvollen Anführers etabliert hat, der sich bislang einfach nur der Prediger nennen lässt. Der Qriid-Geheimdienst scheint diese Bewegung sehr ernst zu nehmen, hatte aber bislang noch keinen Erfolg damit, ihren Anführer auszuschalten.«
Commodore Jackson schob Sunfrost einen Datenträger über den Tisch und ergänzte: »Hier finden Sie alle nötigen Angaben. Die Datensammlung bezüglich des Predigers und seiner Bewegung sind auf dem letzten Stand unserer Erkenntnisse. Aber bedenken Sie bitte, dass die noch immer sehr spärlich und möglicherweise auch fehlerhaft sind. Schließlich stammt das Meiste, was wir an Informationen über die Ketzer-Bewegung besitzen, von ihren erbitterten Gegnern und ist dementsprechend tendenziös.«
»Ist etwas Genaueres über die Ziele dieser Bewegung bekannt?«
»Sie argumentieren natürlich theologisch, wie man das innerhalb des Qriid-Imperiums auch erwarten kann. Vor allem behaupten Sie, dass die herrschende Priester-Kaste die Überlieferung falsch auslegt und Teile davon bewusst unterdrückt. Für uns ist wichtig, dass sich die Zahl ihrer Anhänger in der Noirmad-Exklave geradezu explosionsartig vergrößert haben muss. Der Prediger scheint den Nerv vieler Qriid zu treffen, die einfach kriegsmüde sind… Elf Jahre Kampfpause haben sie offenbar auf den Geschmack gebracht.«
Rena Sunfrost deutete auf die Sternenkarte. »Wir werden im Sandströmraum den Zentralbereich des Imperiums durchfliegen müssen, um in die Noirmad-Exklave zu gelangen«, gab sie zu bedenken.
Commodore Jackson bestätigte dies. »Das ist vollkommen korrekt, Commander – aber ein Risiko besteht da nur, wenn Sie die Sandström-Passage wider erwartend unterbrechen müssten.«
Er atmete tief durch und fuhr anschließend in gedämpftem Tonfall fort: »Sie wissen ja, was im Wega-System geschehen ist. Es steht nicht gut und die Analysen des Geheimdienstes gehen davon aus, dass wir die Qriid auf lange Sicht gesehen nicht aufhalten können.«
»Man könnte verzweifeln«, mischte sich Fabri ein.
»Während im Humanen Rat gerade eine Vorlage zur Mobilmachung gescheitert ist, sind die Qriid längst dabei, auch die letzten industriellen Reserven für den Krieg zu mobilisieren.«
Rena nahm den Datenträger an sich.
»Ich wünsche Ihnen viel Glück, Commander«, hörte sie Commodore Jackson sagen.
Es klang für Rena wie aus weiter Ferne.
Ein Vorstoß in die Höhle des Löwen lag vor ihr und in ihren Gedanken war sie bereits auf die nächsten notwendigen Schritte konzentriert.

*

Garinjan, Noirmad-Exklave, Heiliges Imperium der Qriid…
Der Naarash führte Pan-Sen durch die engen, verwinkelten Gassen von Sarashtor, einer sich unkontrolliert ausbreitenden Siedlung, die sich um den gleichnamigen Industriekomplex herum gebildet hatte. Der Industriekomplex war auf dem neuesten Stand der Qriid-Technik und produzierte vor allem Traserkanonen jeder nur erdenklichen Größe. Die meisten davon wurden irgendwann in Kriegsschiffe eingebaut, die sich dann in die Weiten des Alls aufmachten, um die Ungläubigen zu vertreiben und das Gebiet des Heiligen Imperiums zu vergrößern. Denn das war der Daseinszweck jenes Volkes, das sich selbst als von Gott auserwählt ansah.
Für etwa ein Dutzend Imperiumsjahre (die der Umlaufzeit des Planeten Qriidia um sein Zentralgestirn entsprachen) hatte Waffenstillstand geherrscht, nachdem der Aarriid gestorben war.
Zwölf lange Imperiumsjahre hindurch hatte Waffenstillstand geherrscht, in der die Priesterschaft nach einem jungen Qriid Ausschau gehalten hatte, der über die spirituellen Eigenschaften von Gottes künftigem Stellvertreter verfügte.
Die genauen Kriterien, nach denen die Priester den neuen Herrscher auswählten, gehörten dabei zu ihrem Geheimwissen.
Aber seit kurzem war die Zeit des Interregnums zu Ende.
Die Flotten der Qriid zogen wieder in die Tiefen des Alls, um Gottes auserwähltem Volk den nötigen Raum zu verschaffen und den einzig wahren Glauben im Universum zu verbreiten. Die Unbelehrbaren mussten vertrieben oder unterworfen werden, denn das war der Heilige Auftrag, dem das Imperium seine Existenzgrundlage verdankte.
Pan-Sen folgte dem Naarash in einen Hinterhof, der – wie die gesamte Stadt – nur sehr spärlich beleuchtet war.
Tam-Karan führte den Raumsoldaten der Qriid-Flotte zu einer Tür.
Kurz blinkte an dem Druckanzug des Naarash ein Kontrolllämpchen auf. Wahrscheinlich sendet er mit Hilfe des Helmfunks ein Identifikationssignal, schloss Pan-Sen.
Im nächsten Moment glitt die Tür zur Seite. Tam-Karan trat ein. Der Qriid folgte ihm.
Innen herrschte ein diffuses Halbdunkel.
Nur ein vergleichsweise schwaches Leuchtaggregat spendete gerade genug Licht, um sich orientieren zu können.
Eine weitere, ebenfalls mit einem Zugangscode gesicherte Tür führte zu einem langen, schmalen Korridor. Nach dem Pan-Sen und Tam-Karan ihn bis zum Ende passiert hatten, erreichten sie einen Lastenaufzug.
Pan-Sen zögerte, ehe er dem Naarash in den Aufzug folgte.
»Wo geht es hin?«, erkundigte er sich.
Tam-Karan gab bereitwillig Auskunft. »Die Anhänger des Predigers sind darauf angewiesen, sich an verborgenen Orten zu treffen. Du wirst davon gehört haben, wie erbarmungslos uns die Geheimpolizei des Imperiums verfolgt.«

»Ja, allerdings.«
Uns!, echote es in Pan-Sens Bewusstsein wider. Er hat ›uns‹ gesagt – was bedeutet, dass er sich selbst als einen Anhänger des Predigers empfindet. Welche Ketzerei! Der Angehörige eines Dienervolkes auf einer Stufe mit den Auserwählten, denen Gott das Universum versprach! Ist nicht allein das schon Blasphemie der übelsten Sorte?

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