Zeitschrift für Ideengeschichte Heft VII/1 Frühjahr 2013

Namen

Fiction & Literature
Cover of the book Zeitschrift für Ideengeschichte Heft VII/1 Frühjahr 2013 by Andreas Kilcher, Alexander Kosenina, Steffen Siegel, Franz Reitinger, Andreas Herz, Ulrich Raulff, C.H.Beck
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Author: Andreas Kilcher, Alexander Kosenina, Steffen Siegel, Franz Reitinger, Andreas Herz, Ulrich Raulff ISBN: 9783406649882
Publisher: C.H.Beck Publication: January 23, 2013
Imprint: Language: German
Author: Andreas Kilcher, Alexander Kosenina, Steffen Siegel, Franz Reitinger, Andreas Herz, Ulrich Raulff
ISBN: 9783406649882
Publisher: C.H.Beck
Publication: January 23, 2013
Imprint:
Language: German

Namen? – Nichts als «Schall und Rauch!» Fausts Worte zu Gretchen aber straft Rumpelstilzchen Lügen, dessen Macht zusammenbricht und der sich vor Wut «entzweireißt», als sein Name bekannt und genannt wird. Hier Goethe, dort die Brüder Grimm: Sie zeigen zwei Einschätzungen des Namens, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Hier die Auffassung, welche die Namen (wie die Sprachen und ihre Bedeutungen überhaupt) als bloß zufällig festgelegte Übereinkunft unter den Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft erachtet – dort die Ansicht, dass dem Namen ein von der Natur oder Gott gegebener Wesenskern innewohne, der nicht zur beliebigen Disposition stehe, sondern untrennbar mit seinem Träger verbunden sei. «Buchstab – Zauberstab» (Eichendorff) lautete eine Grundidee sowohl in der deutschen Romantik wie in der jüdischen Kabbala. Das Benennen als ursprünglicher biblischer Akt verkörpert das Allermenschlichste, das Allergöttlichste: Im Alten Testament erscheint Adam als erster Namengeber. Der Mensch identifiziert die Welt im Akt des «Benamsens»: «Ha! du bist das Blökende!», lässt Herder den Menschen in seiner Sprachursprungsschrift ausrufen, «weiß, sanft, wollicht». Der «Schall des Blökens» als das unter- und entscheidende Merkmal wird zum «Namen des Schafs»: Schall und Hauch im Benennen markieren das Erkennen und Wiedererkennen. Aber nicht nur epistemisch, sondern auch machtanalytisch erweist sich der Name als ein tragender Grundpfeiler. In der Rede vom «Herrenrecht, Namen zu geben» (Nietzsche), spiegelt sich der Akt der Macht nicht nur im Sinne der Taufe, sondern auch im Sinne der Verfügungsgewalt, die allein schon dadurch entsteht, dass ein Zugriff auf Personen erfolgen kann (von Institutionen, Polizei, Steuerbehörden etc.), wenn sie durch Namen feststellbar sind. Die Autorität von «Rang und Namen» war und ist seit jeher nicht nur in aristokratischen Kreisen von hoher Bedeutsamkeit. Staatliche, juristische und klerikale Institutionen berufen sich legitimatorisch in rituellen performativen Akten auf höhere Instanzen, sei’s «im Namen des Volkes», sei’s «im Namen des Vaters …». Künstler und Kämpfer hingegen suchen Reputationsgewinn durch Selbsttaufe (Pseudonym oder nom de guerre), und auch Herrschende jeglicher Couleur bedienten sich dieses Verfahrens. Neben die Überhöhung des eigenen Namens und genealogische Nobilitierung setzten sie als gegensätzliche Strategie die damnatio memoriae – die Anonymisierung, die Auslöschung des Namens der Gegner und Widersacher aus dem historischen und kulturellen Gedächtnis. In Zeiten einer transparenten, hell ausgeleuchteten Gesellschaft allerdings treten Namen in die Öffentlichkeit: Institutionen, Medien, Werbung, Social Networks, Internet – die Namen flottieren global und präsentieren sich vor aller Augen und Ohren. Rumpelstilzchen hätte heute wohl kaum eine Chance, seinen Namen zu verbergen. Als Ausweg bliebe ihm freilich, sich Fausts Worte zu eigen zu machen: Wo Namen nur Schall und Rauch sind, lässt es sich ebenso gut mit einem Pseudonym leben – zumindest im Internet hat Goethe gegen Grimm aufgeholt.

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Namen? – Nichts als «Schall und Rauch!» Fausts Worte zu Gretchen aber straft Rumpelstilzchen Lügen, dessen Macht zusammenbricht und der sich vor Wut «entzweireißt», als sein Name bekannt und genannt wird. Hier Goethe, dort die Brüder Grimm: Sie zeigen zwei Einschätzungen des Namens, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Hier die Auffassung, welche die Namen (wie die Sprachen und ihre Bedeutungen überhaupt) als bloß zufällig festgelegte Übereinkunft unter den Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft erachtet – dort die Ansicht, dass dem Namen ein von der Natur oder Gott gegebener Wesenskern innewohne, der nicht zur beliebigen Disposition stehe, sondern untrennbar mit seinem Träger verbunden sei. «Buchstab – Zauberstab» (Eichendorff) lautete eine Grundidee sowohl in der deutschen Romantik wie in der jüdischen Kabbala. Das Benennen als ursprünglicher biblischer Akt verkörpert das Allermenschlichste, das Allergöttlichste: Im Alten Testament erscheint Adam als erster Namengeber. Der Mensch identifiziert die Welt im Akt des «Benamsens»: «Ha! du bist das Blökende!», lässt Herder den Menschen in seiner Sprachursprungsschrift ausrufen, «weiß, sanft, wollicht». Der «Schall des Blökens» als das unter- und entscheidende Merkmal wird zum «Namen des Schafs»: Schall und Hauch im Benennen markieren das Erkennen und Wiedererkennen. Aber nicht nur epistemisch, sondern auch machtanalytisch erweist sich der Name als ein tragender Grundpfeiler. In der Rede vom «Herrenrecht, Namen zu geben» (Nietzsche), spiegelt sich der Akt der Macht nicht nur im Sinne der Taufe, sondern auch im Sinne der Verfügungsgewalt, die allein schon dadurch entsteht, dass ein Zugriff auf Personen erfolgen kann (von Institutionen, Polizei, Steuerbehörden etc.), wenn sie durch Namen feststellbar sind. Die Autorität von «Rang und Namen» war und ist seit jeher nicht nur in aristokratischen Kreisen von hoher Bedeutsamkeit. Staatliche, juristische und klerikale Institutionen berufen sich legitimatorisch in rituellen performativen Akten auf höhere Instanzen, sei’s «im Namen des Volkes», sei’s «im Namen des Vaters …». Künstler und Kämpfer hingegen suchen Reputationsgewinn durch Selbsttaufe (Pseudonym oder nom de guerre), und auch Herrschende jeglicher Couleur bedienten sich dieses Verfahrens. Neben die Überhöhung des eigenen Namens und genealogische Nobilitierung setzten sie als gegensätzliche Strategie die damnatio memoriae – die Anonymisierung, die Auslöschung des Namens der Gegner und Widersacher aus dem historischen und kulturellen Gedächtnis. In Zeiten einer transparenten, hell ausgeleuchteten Gesellschaft allerdings treten Namen in die Öffentlichkeit: Institutionen, Medien, Werbung, Social Networks, Internet – die Namen flottieren global und präsentieren sich vor aller Augen und Ohren. Rumpelstilzchen hätte heute wohl kaum eine Chance, seinen Namen zu verbergen. Als Ausweg bliebe ihm freilich, sich Fausts Worte zu eigen zu machen: Wo Namen nur Schall und Rauch sind, lässt es sich ebenso gut mit einem Pseudonym leben – zumindest im Internet hat Goethe gegen Grimm aufgeholt.

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